1. Chancenaufenthaltsrecht (§104c AufenthG)

Eine Ablehnung wegen wiederholt falscher Angaben oder Täuschung über die Identität oder Staatsbürgerschaft findet nur bei aktivem, eigenverantwortlichen Verhalten des Antragstellers Anwendung und auch nur dann, wenn dieses Verhalten der kausale Grund dafür ist, dass nicht abgeschoben werden kann.

Falsche Angaben oder Täuschungen, die den Vollzug der Abschiebung lediglich in der Vergangenheit verzögert oder behindert haben, sind unbeachtlich (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.10.2022 – 2 M 69/22 – zit. n. Asylmagazin 9/2023 S. 323).


2. Identitätsnachweis Einbürgerung

Bei Beantragung der Einbürgerung befindet sich eine Person, die lediglich im Besitz nicht anerkennungsfähiger Identitätsdokumente  ist (hier aus Somalia nach 1991), in einer unverschuldeten Beweisnot.

Der Identitätsnachweis ist dann auch durch Erklärungen und eidesstattliche Versicherungen von Verwandten möglich.

Dies gilt besonders, wenn diese selbst in Ländern eingebürgert wurden, die ähnliche Anforderungen an den Identitätsnachweis stellen, wie Deutschland (z. B. Schweden oder USA) und wenn die Verwandten dort amtliche somalische Dokumente aus der Zeit vor 1991 vorgelegt haben (VG Mainz, Urt. v. 23.09.2020 – 4 K 476/21.MZ – zit. n. Asylmagazin 5/20, S. 176).


3. § 24 AufenthG (u. a. Ukrainer)

Das Bundesministerium des Innern hat mit einer Rechtsverordnung festgelegt, dass Aufenthaltserlaubnisse nach § 24 AufenthG  bis zum 04. März 2025 verlängert werden.

Bestehende Aufenthaltserlaubnisse bestehen ohne Verlängerung im Einzelfall fort, das heißt, dass die Betroffenen keinen Antrag stellen oder einen Termin bei den Ausländerbehörden wahrnehmen müssen (BR-Drs. 537/23 S. 3, zit. n. Asylmagazin 12/2023 S. 389).


4. Duldung zur Pflege von Angehörigen

Ist jemand hier auf die Pflege und Hilfe durch ein anderes Familienmitglied angewiesen, so kommt es nicht darauf an, ob die Hilfe auch durch einen Pflegedienst erbracht werden könnte.

Die Abschiebung ist aus rechtlichen Gründen unmöglich (OVG Sachsen, Beschl. v. 22.02.22 – 3 B 58/21 – zit. n. Asylmagazin 5/2022 S. 173).

 

5. Anspruch auf Duldung

Nach der gesetzlichen Systematik ist ein Ausländer, dem keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, entweder abzuschieben oder zu dulden.

Die Duldung ist auch dann zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar grundsätzlich möglich ist, die Ausreise aber nicht zeitnah durchgesetzt werden kann.

Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer freiwillig ausreisen könnte oder das Ausreisehindernis zu vertreten hat.

Die Verlängerung von Grenzübertrittsbescheinigungen nach Ablauf der Ausreisefrist ist rechtswidrig (VG Greifswald, Urt. v. 28.01.21 – 2 A 1494/20 HGW – zit. n. Asylmagazin 4/2021 S. 142 f).


6. Betreten von Asylunterkünften

Bewohnen Asylbewerber in einer Gemeinschaftsunterkunft zwei nur ihnen zugewiesene verschließbare Zimmer, handelt es sich um eine Wohnung im Sinne Art. 13 Grundgesetz (GG).

Das Betreten dieser Wohnung durch Behördenmitarbeiter  zum Zwecke der Abschiebung ihrer Bewohner ist als Durchsuchung  im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG zu werten, die dem Richtervorbehalt unterliegt (OVG Hamburg, Urt. v. 18.08.2020 – 4 Bf 160/19 – zit. n. Asylmagazin 10-11/2020 S. 383 f).


7. Familiennachzug

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 01.09.2022 entschieden, dass es beim Elternnachzug und beim Kindernachzug zu anerkannten Flüchtlingen auf die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt des Asylantrages ankommt. Damit gilt bei Visumanträgen von Eltern unabhängig vom wahren Alter das Kind als minderjährig, wenn

  • das Kind zum Zeitpunkt des Asylantrages minderjährig war
  • das Kid zum Zeitpunkt des Asylantrages unbegleitet war
  • der Visumantrag der Eltern innerhalb von 3 Monaten nach der Flüchtlingsanerkennung des Kindes gestellt worden ist (Hinweise Bundesministerium des Inneren, Asylmagazin1-2/2023, S. 33f).


8. Reiseausweis für subsidiär Schutzberechtigte

Im Einzelfall kann es für einen subsidiär Schutzberechtigten unzumutbar sein, bei der Botschaft seines Landes zur Beantragung eines Reiseausweises vorzusprechen.

Dies ist insbesondere der Fall, wenn die verfolgungsrechtliche Situation im Kern mit der eines Flüchtlings vergleichbar ist.

Die Unzumutbarkeit der Botschaftsvorsprache ist ein Ausnahmefall, der vom Ausländer darzulegen und zu beweisen ist (VG Köln, Urteil vom 04.12.2019 – 5 K 7317/18 – zit. n. Asylmagazin 1-2/2020 S. 49f).


9. Familienangehörige von Personen aus der Ukraine

Der Schutz drittstaatsangehöriger Familienmitglieder von Ukrainern  setzt nicht voraus, dass sie selbst infolge des Kriegseintrittes vertrieben wurden.
Die eheliche Lebensgemeinschaft kann auch später geschlossen werden (VG Greifswald, Urt. v. 01.08.2023 – 2 A 404/23 HGW – zit. n. Asylmagazin 10-11/2023 S. 387).


10. Duldung bei unzumutbarer Trennung der Eheleute zur Nachholung des Visumverfahrens (Nigeria)

Muss jemand zur Erlangung der Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Ehe mit einer deutschen Person das Visumverfahren nachholen, so hat sie Anspruch auf Erteilung einer Duldung bis zur Einleitung des Verfahrens, wenn sonst die Trennung mehr als 6 Monate wesentlich übersteigt.

Eine längere Trennung kann den in Art. 6 Grundgesetz gewährten Schutz der Ehe beeinträchtigen (VG Freiburg, Beschl. v. 06.03.2020 – 4 K 4288/19 – zit. n. Asylmagazin 4/2020 S. 133f).

(Anmerkung RA Könneker: Vorliegend sollte der Antragsteller offensichtlich bereits zu Beginn des Jahres 2020 ausreisen, obgleich eine Terminbuchung bei der deutschen Botschaft in Nigeria erst ab September 2020 möglich war.)


11. Nachholung Visumverfahren (Türkei)

Auch eine vorübergehende Trennung des Vater von seinem Kind ist angesichts der engen Bindung vorliegend unzumutbar.
Mit der erst 6 Monate alten Tochter ist ein noch sehr kleines Kind betroffen, das besonders schutzbedürftig ist.
Auf der anderen Seite ist der Trennungszeitraum kaum absehbar.
Die offiziellen Verlautbarungen der deutschen Auslandsvertretungen in der Türkei lassen nicht erkennen, ob der Antragsteller überhaupt in die Lage wäre, auch nur einen Termin zur Beantragung eines nationalen Visums zu erhalten (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 09.10.2020 – 2 M 89/20 – zit. n. Asylmagazin 1-1/2021 S. 38).


12. Identitätsklärung bei Passvorlage

Die Vorlage eines Reisepasses ist zur Identitätsklärung grundsätzlich ausreichend.
Allein der Umstand, dass im Herkunftsland kein sicheres Urkundswesen besteht, reicht nicht aus, um die Beweiswirkung des Nationalpasses in Frage zu stellen.
Nur bei substantiellen Zweifeln an der Richtigkeit der durch den Pass dokumentierten Identität, etwa aufgrund widersprechender anderer Dokumente, ist eine weitergehende Prüfung erforderlich und zulässig (OLG Hamm, Beschl. v. 20.01.2021 15 W 68/20 – zit. n. Asylmagazin 3/2021 S. 108).