1. Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot

Abschiebungsverbot für 51-jährige Frau.
Zwar gibt es in Armenien eine kostenlose medizinische und auch psychologische Versorgung, jedoch ist eine Behandlung wegen der dort herrschenden Korruption für Personen ohne ausreichendes Einkommen nicht verfügbar.
Eine ausreichende medizinische Versorgung in Armenien ist daher im Einzelfall nicht gewährleistet, wenn das zu erwartende Einkommen zu gering ist, um inoffizielle Zuzahlungen zu leisten (VG Magdeburg, Urt. v. 31.07.2018 – 3 A 94/16 MD – zit. n. Asylmagazin 10-11/18 S. 361).


2. Zwangsheirat

Nach den Erkenntnissen des Gerichts kann es innerhalb der Volksgruppe der Yeziden in Armenien zu Fällen von Zwangsverheiratungen kommen (hier: beabsichtigte Verheiratung einer Witwe durch ihren Vater).

Die Klägerin hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Sie hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass und weshalb sie von ihrem Vater gezwungen werden sollte, als Witwe einen anderen Mann zu heiraten.

WDie Klägein hat – wie auch mehrfach gegenüber ihren behandelnden Psychiater – glaubhaft dargelegt, dass sie sich eher töten würde, als den vom Vater ausgesuchten Mann zu heiraten. Ein entscheidendes Motiv dabei ist, dass ihre Kinder nicht bei ihr, sondern bei den Schwiegereltern verbleiben sollten.

Ihr Vorbringen wird andererseits durch die vom Gericht eingeholten Erkenntnisquellen gestützt.

Insbesondere hat die Schweizer Flüchtlingshilfe in der im Verfahren eingeholten Stellungnahme ausgeführt, dass Zwangsheiraten in der yezidischen Bevölkerung in Armenien vorkommen können und diese – trotz einiger Verbesserungen – vom armenischen Staat mangels geeigneter Handhaben nicht wirksam bekämpft werden. Das Auswärtige Amt hat in seiner vom Gericht eingeholten Auskunft zudem ausgeführt, dass nach Mitteilung des Vorsitzenden des Yezidischen Zentralrates in Armenien zwar nur in einer sehr traditionellen bzw. streng religiösen Familie der Wunsch einer Witwe vollständig ignoriert und sie gegen ihren Willen neu verheiratet werde. Immerhin treffe dies aber auf 8 bis 10 % der yezidischen Familien zu. Bei einer Wiederverheiratung blieben die Kinder in der Familie des verstorbenen Ehemannes (VG Schwerin Urt. v. 20.11.2015 – 15 A 1524/13 As – zit. n. ASYLMAGAZIN 1-2/2016, S. 24 f).


3. Wehrdienst

Im Falle des Antragstellers, der seit 17 Jahren in Deutschland lebt, sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK wegen Verwurzelung erfüllt.
Der Antragsteller verfügt über keinen armenischen Reisepass. Einen solchen Pass könnte er nur erlangen, wenn er den zweijährigen Wehrdienst in Armenien ableisten würde. Das hat das Verwaltungsgericht nach den konkreten Umständen des Falles als nicht zumutbar angesehen. Das Gericht ist dabei davon ausgegangen, dass im Falle einer längerfristigen Ausreise des Antragstellers für ihn keine Möglichkeit besteht, nach Deutschland dauerhaft zurückzukehren, er also seinen derzeitigen Aufenthaltsanspruch endgültig verlieren würde.

Die armenische Staatsangehörigkeit des Antragstellers stellt nur noch ein formales Band dar. Der Antragsteller hat geltend gemacht, seit seiner Einreise im Jahr 1993 nicht mehr in Armenien gewesen zu sein und keinen Bezug zu dem Land zu haben. Unter anderem beherrsche er nicht das armenische Alphabet, so dass er dort weder lesen noch schreiben könne. Ob unter diesen Umständen die Ableistung des Wehrdienstes ausländerrechtlich zumutbar, erscheint zweifelhaft.
Das bedeutet, dass die Ausstellung eines Passersatzes in Betracht kommt (OVG Bremen, Beschl. v. 08.12.2010 – 1 B 295/10 – zit. n. www.asyl.net).


4. Ausbürgerung aus Aserbaidschan

Artikel 5 Absatz 1 Ziffer 1 des aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsgesetzes ist als eine Ausbürgerungsregelung anzusehen, die trotz ihrer neutralen Formulierung gezielt allein armenische Volkszugehörige trifft.
Sie dient der juristischen Festschreibung einer zuvor staatlich geduldeten und fast vollständigen Vertreibung der armenischen Bevölkerung in Aserbaidschan.
In ihrer Anwendung auf Armenier kann politische Verfolgung ohne inländische Fluchtalternative in Berg-Karabach liegen (BVerwG, Beschl. v. 10.10.2012 – BVerwG 10 B 39.12 – zit. n. AuAS Nr. 2/2013, S. 24).

 

5. Abschiebungsverbot bei schwerer Erkrankung

Das an schwerwiegenden Erkrankungen leidende altere Ehepaar hätte bei einer Rückkehr nach Armenien keinen Zugang zu der notwendigen Behandlung und Medikation.
Auch wenn die staatliche Gesundheitsversorgung im Grundsatz kostenlos ist, so werden in vielen Fällen für eine umfassende Versorgung und Medikation private Zuzahlungen verlangt.
Vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie ist zudem die Sicherstellung des Existenzminimums und die Befriedigung der Grundbedürfnisse der gebrechlichen Kläger nicht gewährleistet (VG Würzburg, Urt. v. 06.07.2020 – W 8 K 19.31125 – – zit. n. Asylmagazin 9/2020 S. 306f).